Wieviel Zucker ist im Schnaps? Gibt es Spirituosen ohne Zucker? Die Frage taucht im Kundengespräch nahezu täglich auf. Aber eine Antwort auf diese Frage ist in vielen Fällen kaum möglich. Der Grund für die schlechte Informationslage ist allerdings ein Konvolut aus verschiedenen Regelungen. Dieses Knäuel an untereinander nicht homogenen Regelungen wollen wir hier einmal auseinanderwickeln.
- Warum haben Spirituosen keine Nährwerte?
- Spirituosen ohne Zucker und die Health-Claims-Verordnung
- Das Dilemma der Health-Claims-Verordnung
- Wie könnte man zuckerfreie Spirituose kennzeichnen?
- Bewertung der Regelung zum Zuckergehalt von Spirituosen
Warum haben Spirituosen keine Nährwerte?
Spirituosen sind eines der wenigen Lebensmittel, für die gesetzlich kein Zutatenverzeichnis und keine Nährwertkennzeichnung vorgesehen sind. Gesetzlich definiert ist dies in der sogenannten Lebensmittelinformationsverordnung (kurz: LMIV) in Artikel 16 Abs. 4. Über dieses Thema haben wir bereits an anderer Stelle berichtet. Im März 2017 hat die EU-Kommission einen Bericht über das fehlende Zutatenverzeichnis und die fehlende Nährwertdeklaration von Spirituosen vorgelegt. In dem Bericht wurde die Branche aufgefordert, einen Vorschlag zur Selbstregulierung vorzulegen. Diese Selbstverpflichtung hat der Verband der europäischen Spirituosenhersteller SpiritsEurope am 4. Juni 2019 erfüllt.
In der Selbstverpflichtung wurde u.a. als Ziel definiert, dass bis Ende 2022 etwa 66% der in der EU vertriebenen Spirituosen mit Nährwerten gekennzeichnet sein sollen. Demnach sollen die Nährwerte pro 100ml und pro Verbrauchseinheit angegeben werden. Eine Verbrauchseinheit umfasst standardmäßig 30ml. Je nach Kategorie oder nationaler Gesetzgebung sind aber auch andere Verbrauchseinheiten zulässig. Eine Verbrauchseinheit entspricht dabei der für die Zubereitung eines Getränks (pur oder gemischt) erforderlichen Menge.
Das Grundproblem ist folglich die fehlende gesetzliche Verpflichtung. Denn gleichwohl die freiwillige Selbstverpflichtung dazu geführt hat, dass viele größere Konzerne Nährwerte angeben, beschränken sich diese häufig allein auf den Energiegehalt des Getränks. Angaben zum Gehalt an Zucker sind leider nur selten zu finden.
Spirituosen ohne Zucker und die Health-Claims-Verordnung
Die Verordnung mit dem etwas sperrigem Titel stammt aus dem Jahre 2006 und beschäftigt sich mit nährwert- und gesundheitsbezogenen Angaben zu Lebensmitteln. Im Anhang der Verordnung sind nährwertbezogene Angaben und die Bedingungen für ihre Verwendung aufgeführt. Unter anderem findet man dort die folgenden Ausführungen:
ZUCKERARM
Die Angabe, ein Lebensmittel sei zuckerarm, sowie jegliche Angabe, die für den Verbraucher voraussichtlich dieselbe Bedeutung hat, ist nur zulässig, wenn das Produkt im Fall von festen Lebensmitteln nicht mehr als 5 g Zucker pro 100 g oder im Fall von flüssigen Lebensmitteln 2,5 g Zucker pro 100 ml enthält.
ZUCKERFREI
Die Angabe, ein Lebensmittel sei zuckerfrei, sowie jegliche Angabe, die für den Verbraucher voraussichtlich dieselbe Bedeutung hat, ist nur zulässig, wenn das Produkt nicht mehr als 0,5 g Zucker pro 100 g bzw. 100 ml enthält.
OHNE ZUCKERZUSATZ
Die Angabe, einem Lebensmittel sei kein Zucker zugesetzt worden, sowie jegliche Angabe, die für den Verbraucher voraussichtlich dieselbe Bedeutung hat, ist nur zulässig, wenn das Produkt keine zugesetzten Mono- und Disaccharide oder irgendein anderes wegen seiner süßenden Wirkung verwendetes Lebensmittel enthält. Wenn das Lebensmittel von Natur aus Zucker enthält, sollte das Etikett auch den folgenden Hinweis enthalten: „ENTHÄLT VON NATUR AUS ZUCKER“.
Die Verwendung dieser nährwertbezogenen Angaben wäre prädestiniert, um auf zuckerfreie oder zuckerreduzierte Spirituosen hinzuweisen. Einer solchen Absicht steht aber Artikel 4 Abs. 3 der Healt-Claims-Verordnung entgegen. Dort heißt es:
(3) Getränke mit einem Alkoholgehalt von mehr als 1,2 Volumenprozent dürfen
a) keine gesundheitsbezogenen Angaben,
b) keine nährwertbezogenen Angaben mit Ausnahme solcher, die sich auf eine Reduzierung des Alkoholgehaltes oder des Brennwerts beziehen, tragen.
Das Dilemma der Health-Claims-Verordnung
Den geneigten Lesern offenbart sich hier ein Dilemma. Einerseits das Ziel der EU-Kommission, Spirituosen mit Zutatenverzeichnis und Nährwerten auszustatten. Andererseits wird die Möglichkeit nährwertbezogene Angaben zu machen, auf Alkoholgehalt und Brennwert reduziert.
Eine Vielzahl von Studien hat die gesundheitsschädliche Wirkung alkoholischer Getränke erwiesen. Gesundheitsbezogene Angaben zu Getränken mit einem Alkoholgehalt von mehr als 1,2% vol. sind daher generell untersagt.
Am 26.04.2011 hat der ehemalige Abgeordnete des EU-Parlaments Holger Krahmer (FDP) bei der EU-Kommission folgende Anfrage gestellt:
Die Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 regelt die Verwendung nährwertbezogener Angaben bei Getränken mit einem Alkoholgehalt von mehr als 1,2 Volumenprozent (Artikel 4 Absatz 3).
Danach darf eine nährwertbezogene Angabe nur unter der Voraussetzung der Reduzierung des Brennwertgehalts gemacht werden. Es sei denn, es handelt sich um allgemeine Bezeichnungen, die traditionell zur Angabe einer Eigenschaft einer Kategorie von Getränken verwendet werden und die auf Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit hindeuten könnten. In diesem Fall kann ein Antrag seitens des Herstellers gestellt werden.
In der Spirituosenkategorie „Bitter“ dürfen entsprechende Produkte auch mit Zuckerzusatz hergestellt werden. Jedoch wurde von einem Likör herstellenden Unternehmen bisher die Angabe „Magenbitter ungesüßt“ auf dem Rücken-Etikett kenntlich gemacht, um den Verbraucher darüber zu informieren, dass im Herstellungsprozess im Vergleich zu anderen Bittern kein Zucker zugesetzt wird. Diese Angabe scheint nach dem Wortlaut der Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 verboten zu sein.
Kann die Kommission diesbezüglich folgende Fragen beantworten:
1. Wie begründet die Kommission den Umstand, dass die Angabe „ungesüßt“ eine nährwertbezogene Angabe ist?
2. Weshalb akzeptiert die Kommission den Claim „ohne Zucker“ beispielsweise bei Mineralwasser mit Zugabe von Zitronensaft, nicht aber bei Magenbitter, welcher im Vergleich zu ähnlichen Produkten tatsächlich ohne Zucker hergestellt und somit unterscheidbar ist?
Quelle: https://www.europarl.europa.eu/doceo/document/E-7-2011-004429_DE.html
Die Antwort auf die parlamentarische Anfrage erfolgte am 31.05.2011 wie folgt:
Die Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates definiert eine „nährwertbezogene Angabe“ als Angabe, mit der erklärt, suggeriert oder auch nur mittelbar zum Ausdruck gebracht wird, dass ein Lebensmittel besondere positive Nährwerteigenschaften besitzt, und zwar aufgrund der Energie (des Brennwerts), die es liefert, in vermindertem oder erhöhtem Maße liefert oder nicht liefert, und/oder der Nährstoffe oder anderen Substanzen, die es enthält, in verminderter oder erhöhter Menge enthält oder nicht enthält.
Daher ist die Angabe „ungesüßt“ eine nährwertbezogene Angabe. Sie ist gleichbedeutend mit der Angabe „ohne Zuckerzusatz“, die auf der Liste der nährwertbezogenen Angaben steht, und darf daher gemäß den in der Verordnung vorgegebenen Bedingungen verwendet werden.
Die Angabe „zuckerfrei“ darf gemäß der Verordnung für Lebensmittel verwendet werden, die nicht mehr als 0,5 g Zucker pro 100 g bzw. 100 ml enthalten. Da der hohe Alkoholkonsum in der Bevölkerung das Risiko alkoholbedingter Erkrankungen und der Sterblichkeit insgesamt stark erhöht und gesundheitsbezogene Angaben den Konsum fördern, haben die Mitgesetzgeber beschlossen, gesundheitsbezogene Angaben auf alkoholischen Getränken mit mehr als 1,2 % Alkohol zu verbieten — mit Ausnahme nährwertbezogener Angaben, die sich auf einen niedrigeren Gehalt an Energie oder Alkohol beziehen.
Quelle: https://www.europarl.europa.eu/doceo/document/E-7-2011-004429-ASW_DE.html#def1
Zucker, der zu den Kohlenhydraten gehört, ist ein Nährwert. Darüber besteht spätestens bei einem Blick auf eine Nährwerttabelle kein Zweifel.
Bild: Nährwerttabelle einer Bionade
Daher ist „ungesüßt“, „ungezuckert“ oder „ohne Zuckerzusatz“ natürlich eine nährwertbezogene Angabe. Der oben zitierte Artikel 4 Abs. 3 Buchstabe b) der Health-Claims-Verordnung untersagt bei alkoholischen Getränken mit mehr als 1,2 Volumenprozent jede nährwertbezogene Angabe, außer zum Brennwert und zur Reduzierung des Alkoholgehaltes. Im letzten Absatz der Antwort erläutert die EU-Kommission, „das gesundheitsbezogene Angaben den Konsum fördern“ und deswegen „gesundheitsbezogene Angaben auf alkoholischen Getränken mit mehr als 1,2 % Alkohol“ verboten seien.
Also ist Zucker jetzt doch eine gesundheitsbezogene Angabe? Die Angabe „ungesüßt“ oder „ungezuckert“ ist nach der Health-Claims-Verordnung für alkoholische Getränke ab 1,2 Volumenprozent originär verboten und nicht, weil es eine gesundheitsbezogene Angabe ist. Wäre Zucker eine gesundheitsbezogene Angabe, dürfte diese Angabe auch nicht in der Nährwerttabelle auftauchen.
Die Frage ist, warum die Health-Claims-Verordnung die Angabe von Nährwerten bei Spirituosen derart einschränkt. Schließlich sind Angaben wie „ohne Zusatz von Farbstoff“, lactosefrei“ oder „glutenfrei“ auch zulässig, obgleich bei nicht vorhandenen Allergenen offensichtlich ein Gesundheitsbezug vorliegt. Die Aussage „lactosefrei“ und „glutenfrei“ bedeutet ja, dass diese Spirituose für Allergiker „bekömmlicher“ ist als eine Spirituose, auf der diese Angaben nicht stehen.
Bild: Gesundheitsbezogene Angaben? Ausschnitt Etikett Berliner Luft Likör
Wie könnte man zuckerfreie Spirituose kennzeichnen?
Zur Klarstellung: Die Health-Claims-Verordnung bezieht sich mit dem oben zitierten Artikel 4 Abs. 3 nicht auf eine Nährwertkennzeichnung. Denn nach Artikel 36 der LMIV ist es zulässig, die Deklaration der Nährwerte freiwillig vorzunehmen. Dann allerdings muss die Kennzeichnung allen Anforderungen entsprechen. Neben dem Brennwert sind also Fett, gesättigte Fettsäuren, Kohlenhydrate, davon Zucker, Eiweiß und Salz anzugeben. Einige dieser Angaben sind für die Mehrzahl der Spirituosen allerdings nie zutreffend und wären stets mit „0“ anzugeben. Entsprechend scheuen die allermeisten Hersteller die freiwillige Optierung zu einer vollständigen Nährwertkennzeichnung.
Wer die vollständige Nährwertkennzeichnung also scheut, dem bleibt als letzter Strohhalm ein Blick in die Spirituosenverordnung (EU) 2019/787. Maßgebend für die Kennzeichnung ungesüßter Spirituosen ist Erwägungsgrund 17. Dort wird der Begriff „trocken“ für wenige Kategorien als irreführend verboten, in vier unterschiedlichen Varianten erlaubt und in 24 Sprachen für die Kennzeichnung von Spirituosen definiert.
Sprache |
Begriff |
Bulgarisch |
cyx |
Dänisch |
tør |
Deutsch |
trocken |
Englisch |
dry |
Estnisch |
kuiv |
Finnisch |
kuiva |
Französisch |
sec |
Griechisch |
ξηρό |
Irisch |
tirim |
Italienisch |
secco |
Kroatisch |
suho |
Lettisch |
sausais |
Litauisch |
sausas |
Maltesisch |
xott |
Niederländisch |
droog |
Polnisch |
wytrawny |
Portugiesisch |
seco |
Rumänisch |
sec |
Schwedisch |
torr |
Slowakisch |
suchý/suchá/suché |
Slowenisch |
suh |
Spanisch |
seco/a |
Tschechisch |
suchý |
Ungarisch |
száraz |
Der Begriff „dry“ darf unübersetzt in allen Mitgliedsstaaten verwendet werden.
Bewertung der Regelung zum Zuckergehalt in Spirituosen
Wer sich vorstehende Tabelle anschaut, erkennt auf den ersten Blick überhaupt keine sinnvolle Auslobung von Zucker in Spirituosen. Liköre dürfen mit mehr als 100 Gramm Zucker als „trocken“ bezeichnet werden. Whisky darf keinen Zucker enthalten, aber das muss man verschweigen.
Das Bayerische Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit hat als Alternative zu „trocken“ und „dry“ noch „100% Tresterbrand“ oder „100% Obstbrand“ vorgeschlagen. Dadurch soll deutlich werden, dass dem Produkt kein Zucker zugesetzt wurde. Das allerdings erscheint auch fragwürdig, denn jedes als „Obstbrand“ ausgelobte Produkt sollte zu 100% ein Obstbrand sein. Wir sehen hier wie beim Whisky eine Irreführung.
Die aktuell einzig sinnvolle Auslobung des Zuckergehaltes ist ein Zutatenverzeichnis und eine Nährwerttabelle. Die Regelung in der Health-Claims-Verordnung, nach der Angaben zu Nährwerten für Spirituosen nicht zulässig sind, fehlt es in jeglicher Hinsicht an einer sinnvollen Begründung. Natürlich sollten Nährwerte nicht den Eindruck erwecken, bestimmte Spirituosen wären aufgrund eines bestimmten Zuckergehaltes gesünder als andere. Aber die schlichte Information, dass etwas „ohne Zucker“ oder „ohne Zuckerzusatz“ hergestellt wurde, hat keinen werbenden Charakter und ist eine für VerbraucherInnen wichtige und wertvolle Information über ein Lebensmittel.
Eine transparente und nachvollziehbare Kommunikation zwischen HerstellerInnen und VerbraucherInnen ist anhand der aktuellen rechtlichen Situation nur mit einer Nährwertkennzeichnung und/oder einem Zutatenverzeichnis möglich. Die HerstellerInnen sollten diese Möglichkeit zur Information der VerbraucherInnen offensiv nutzen. Sollte die freiwillige Selbstverpflichtung des europäischen Spirituosenverbandes von 66% mittelfristig nicht erreicht werden, wird des ohnehin zu einer verpflichtenden Kennzeichnung kommen.
Für Artikel 4 Abs. 3 Buchstabe b) der Health Claims Verordnung schlagen wir folgende Formulierung vor:
(3) Getränke mit einem Alkoholgehalt von mehr als 1,2 Volumenprozent dürfen
a) keine gesundheitsbezogenen Angaben,
b) keine nährwertbezogenen Angaben mit Ausnahme solcher, die sich auf eine Reduzierung des Alkoholgehaltes, des Brennwerts oder der Zugabe süßender Erzeugnisse in Gramm je Liter beziehen, tragen.
Dann könnte jeder Hersteller ohne Wertung die Zugabe süßender Erzeugnisse in Gramm je Liter (z.B. „Zucker: 100 Gramm je Liter“) angeben. Angaben wie „weniger Zucker“ oder „geringer Zuckergehalt“ wären nicht zulässig, da diese nach Buchstabe a) als gesundheitsbezogen gelten würden. Der Schritt zu einer vollständigen Nährwertkennzeichnung ist dann allerdings auch nur noch sehr klein.